Der Ingenieurvertrag aus rechtlicher Sicht
Die Frage der rechtlichen Einordnung des Ingenieursvertrages ist seit Jahren umstritten und wurde in Rechtsprechung und Lehre wiederholt diskutiert. Dieser Artikel soll einen Überblick über die Merkmale der in Frage kommenden Vertragstypen (Werkvertrag und Auftrag) geben sowie zusammengefasst die Qualifikationsthematik des Ingenieurvertrages darstellen.
Durch den Werkvertrag im Sinne von Art. 363 ff. OR verpflichtet sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werkes, der Besteller zur Leistung einer Vergütung. Gegenstand eines Werkvertrages können dabei sowohl körperliche Werke (wie die Errichtung eines Schaltschrankes) als auch unkörperliche Werke (wie eine Schulung) sein. Der Gegenstand eines Werkvertrages kann also sehr vielfältig sein. Weitere Beispiele für den Inhalt eines Werkvertrages sind die Herstellung von Gebrauchsgegenständen jeglicher Art, das Schreiben von Computerprogrammen, die Planung und Realisierung einer Website, das Anstreichen und Reinigen von Gebäuden, die Publikation von Inseraten etc.
Die nicht immer leichte Abgrenzung des Werkvertrages zum Auftrag nach Art. 394 ff. OR zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass beim Werkvertrag ein bestimmter Erfolg geschuldet ist, beim Auftrag hingegen (nur) ein Tätigwerden im Interesse des Auftraggebers. So verpflichtet sich nach Art. 394 Abs. 1 OR der Beauftrage durch die Annahme eines Auftrages die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen. Von einem Werkvertrag wird ausgegangen, wenn der Arbeitserfolg objektiv festgestellt werden kann. So führen z.B. technische Gutachten regelmässig zu einem Resultat, welches nach objektiven Kriterien überprüft und als richtig oder falsch qualifiziert werden kann. Die Richtigkeit des Gutachtensergebnisses ist somit objektiv gewährleistungsfähig und kann als Erfolg versprochen werden. Fehlen hingegen objektive Kriterien für die Beurteilung der Richtigkeit, wie etwa bei einem Rechtsgutachten oder bei dem Gutachten über den Verkehrswert einer Liegenschaft, so kommt Auftragsrecht zur Anwendung (BGE 127 III 328).
Ob ein konkreter Vertrag die Merkmale eines Werkvertrages (Art. 363 OR) erfüllt oder nicht, beurteilt sich nach dem vereinbarten Vertragsinhalt, der durch Auslegung zu ermitteln ist. Diese Beurteilung bildet Gegenstand einer rechtlichen Qualifikation, die dem Parteiwillen entzogen bleibt. D.h. der Richter hat – im Streitfalle – stets von Amtes wegen zu prüfen, ob eine von den Parteien selbst verwendete Qualifikation mit dem vereinbarten Inhalt des abgeschlossenen Vertrages übereinstimmt. Nie wird z.B. ein Werkvertrag deshalb zum Auftrag, weil die Parteien ihn aus Irrtum oder aus Absicht als „Auftrag“ bezeichnen oder umgekehrt (BGE 113 II 266). Möglich und in den Schranken des Gesetzes wirksam ist hingegen die Vereinbarung, dass auf einen Werkvertrag bestimmte Regeln eines andern Vertragstypus zur Anwendung kommen. So können die Parteien etwa vereinbaren, dass ihr Vertrag, obwohl er im konkreten Fall ein Werkvertrag ist, der Auflösungsregel des Art. 404 OR untersteht.
Dass unkörperliche Werke ebenfalls Gegenstand eines Werkvertrages sein können ist auch von Bedeutung für die Qualifikation der Ingenieurverträge. Gemeinsam ist diesen Verträgen, dass sie jeweils von einem selbständigen Ingenieur oder Ingenieurbüro abgeschlossen werden, somit also keine Einzelarbeitsverträge im Sinne von Art. 319 OR sind. Im Übrigen ist die Frage, welchem Vertragstypus der Ingenieurvertrag zuzuordnen ist – wie erwähnt – umstritten. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass zur Tätigkeit eines Ingenieurs die verschiedenartigsten Einzelleistungen gehören und es den Ingenieurvertrag mit immer gleichem Inhalt gar nicht gibt. Für die rechtliche Qualifikation muss vielmehr darauf abgestellt werden, welche Leistungen die Parteien im konkreten Ingenieurvertrag vereinbart haben. Das Bundesgericht qualifiziert sodann den reinen Planungsvertrag als Werkvertrag, den Bauleitungsvertrag als Auftrag und den Gesamtvertrag als ein aus Werkvertrag und Auftrag gemischter Vertrag, dessen Auflösung aber insgesamt dem Auftragsrecht untersteht (BGE 114 II 56). Diese Qualifizierung beruht auf der Überlegung, dass der Ingenieur in seiner vertraglichen Funktion als Planer (Projektant) ein bestimmtes Arbeitsergebnis (nämlich die Pläne) und damit ein Werk schulde, während die Übernahme der Bauleitung zwar zu sorgfältiger Arbeit, aber zu keinem Arbeitsergebnis verpflichte. Praktisch wirkt sich diese Unterscheidung vor allem auch auf die vorzeitige Beendigung aus, da der auftragsrechtliche Art. 404 OR jeder Auftragspartei ein jederzeitiges und voraussetzungsloses Recht zur Vertragsauflösung gibt und eine Schadenersatzpflicht nur bei einer Auflösung „zur Unzeit“ entstehen lässt. Dementsprechend gelten für den Planungsvertrag andere Regeln als für den Bauleitungs- und den Gesamtvertrag des Ingenieurs.